Paukenschlag in Thüringen: Laut einer Umfrage der Meinungsforscher von INSA im Auftrag von Thüringer Allgemeiner (TA), Ostthüringer Zeitung (OTZ) und Thüringischer Landeszeitung (TLZ) käme eine „Liste Wagenknecht“ aus dem Stand auf 25% – und läge damit vor allen anderen Parteien.
Gegenüber einem Szenario ohne eine Liste Wagenknecht würde die AfD die größten Verluste erleiden und von 32% auf 22% absacken. Hingegen würde die Linkspartei, die aktuell mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt, nur von 22% auf 18% verlieren.
Solche Umfragen sind jedoch mit großer Vorsicht zu sehen, denn sie werden ohne den Eindruck eines Wahlkampfes und damit auch ohne den sichtbaren Vergleich von Botschaften und Auftritt erhoben.
Kann eine Neugründung Wahlkampf?
Wichtige Frage dürfte jedoch sein: Wäre eine Wagenknecht-Partei aus dem Stand in der Lage, einen Wahlkampf zu führen – erst recht in einem teil dünn besiedelten Flächenland wie Thüringen, in dem die Zahlen der Parteiaktiven im bundesvergleich unterdurchschnittlich ist. Denn wichtige Währung für einen Wahlkampferfolg ist traditionell Sichtbarkeit. Wer nicht mit Plakaten auf der Straße ist, keine Infostände (und damit Anlaufpunkte und Diskussionsmöglichkeiten) anbietet, keine Flyer in den Briefkästen hat, der ist nicht präsent und findet in Zeiten abnehmender Bedeutung von Medien in den Köpfen der Menschen nicht statt. Soweit die Theorie…
In der Praxis ließe sich das Fehlen von Freiwilligen, die Plakate aufhängen und Flyer verteilen, über die Buchung von kommerziellen Dienstleistern beheben. Fehlende Plakatpräsenz kann überdies durch Anzeigenwerbung in Zeitungen oder im Privatradio ersetzt werden. Auch die Buchung von Anzeigen oder das Pushen von Beiträgen durch das Erkaufen von Reichweite in den Sozialen Netzwerken wäre möglich – aber dafür bräuchte es in hohem Maße finanzielle Mittel.
Hürden für Teilnahme an Landtagswahl
Über allem stehen dann zwei formale Hürden: Zum einen müssen geeignete Kandidatinnen und Kandidaten gefunden werden, die einer Durchleuchtung durch Medien und Mitbewerber stand halten und in der Lage sind gemeinsam eine einheitliche inhaltliche Linie in ansprechender Art und Weise zu vertreten. Zum anderen braucht es, da eine Wagenknecht-Partei in keinem Parlament vertreten ist, Unterstützungsunterschriften um eine Landesliste einreichen zu können. Zu Corona-Zeiten wurde die Hürde von 1.000 auf 500 halbiert – aber auch die wollen ersteinmal eingeworben sein.
Spitzenkandidatin Wagenknecht?
Für Wagenknecht selbst dürfte die Spitzenkandidatur in einem kleinen ostdeutschen Flächenland mit nur gut 2 Millionen Einwohnern wenig reizvoll sein. Auf der anderen Seite wäre womöglich der Zwischenschritt auf dem Weg zu einer eigenen Bundestagsfraktion. Thüringen wählt im 01. September 2024, ein Jahr später folgen die Bundestagwahlen. Strategisches Manko: Parallel zu Thüringen finden auch Landtagswahlen in Sachsen statt – drei Wochen später folgt darüber hinaus Brandenburg. Und: Bereits im Frühsommer wählt ganz Europa – und damit auch Deutschland – ein neues Europaparlament. Es wäre den Menschen kaum erklärbar, warum eine Wagenknecht-Partei nur in Thüringen zur Landtagswahl kandidatiert – auf der anderen Seite: Wagenknecht wurde im Thüringischen Jena geboren…
Vehikel „Bürger für Thüringen“?
Denkbar wäre, die sich selbst als freiheitlich-demokratisch bezeichneten „Bürger für Thüringen“ (BfTh) als Vehikel für eine Wagenknechtpartei zu nutzen. Die Gruppierung ist aktuell mit 2 Mitgliedern im Landtag vertreten, eine ehemalige FDP-Abgeordnete und ein ehemaliges AfD-Mitglied. Damit gäbe eine kleine parlamentarische Basis, über die Themen in den Landtag gespielt und damit medial gesetzt werden könnten. Die BfTh hatten überdies bislang auch keine große Scheu vor Themen der Querdenker und aus dem (rechts-)populistischen Bereich. Auch Wagenknecht selbst trat bereits vor solchen Anhängern auf.
Neugründungen können erfolgreich sein
Es dürfte also spannend werden. Denn, dass Neugründungen durchaus aus dem Stand einen erfolgreichen Wahlkampf hinlegen können, hat bspw. Ronald Schill mit seiner Partei Rechtsstaatlicher Offensive (umgangssprachlich: Schill-Partei) im Jahr 2000 in Hamburg gezeigt. Bei der Bürgerschaftswahl erzielte die Gruppierung 19,4% und stellte mit 25 Abgeordneten die drittgrößte Fraktion – und landete in einer Koalition mit CDU und FDP. Getragen wurde die Neugründung auch von Menschen, die bis dato in anderen Parteien (u.a. CDU, SPD und Statt-Partei) aktiv und somit nicht gänzlich unerfahren in Wahlkämpfen waren. Denkbar, dass auch eine Wagenknecht-Partei von solchen oft als Rebellen, Frustrierten und Karrieristen bezeichneten Menschen profitiert, die eine neue (partei-)politische Heimat suchen. Auch die letzte große Neugründung, die AfD, zog in hohem Maße solche Mitglieder an – und nicht selten landeten diese auch in Ämtern und Mandaten – wenn auch nicht bei ihrer ersten Bundestagswahl, denn dort verpasste die AfD den Einzug ins Parlament…
Foto Beitragsbild: @DiG/Trialon