Landratswahl Sonneberg. Oder: Eine CDU-Kampagne als Grund für den AfD-Erfolg?

Über das Ergebnis des ersten Wahlgangs zur Landratswahl im thüringischen Landkreis Sonneberg ist viel geschrieben worden. Hängen geblieben ist: Der AfD-Kandidat Robert Sesselmann, Landtagsabgeordneter der Partei und Rechtsanwalt in der Kreisstadt Sonneberg, steht mit gut 46 Prozent kurz vor der absoluten Mehrheit. Auf Platz zwei – und damit ebenfalls in der Stichwahl – kam mit knapp 36 Prozent der erste Stellvertreter des Landrates Jürgen Köpper von den Christdemokraten.

Die beiden anderen Kandidatinnen Anja Schönheit (parteilos, Unterstützung von SPD und Pro SON) und Nancy Schwalbach (Grüne, mit Unterstützung der LINKE) erreichten gut 13 bzw. weniger als 5 Prozent und sind damit nicht in der Stichwahl.

In der Folge riefen die beiden Kandidatinnen sowie ihre Unterstützer zur Wahl des CDU-Bewerbers Köpper auf. Ob es reicht, einen AfD-Wahlsieg zu verhindern?

Kurzbericht des MDR-Fersehens über die Stichwahl: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/sued-thueringen/sonneberg/afd-landratswahl-sesselmann-linke-cdu-100.html

Schauen wir uns die Kampagnen der beiden verbliebenen Bewerber für die Stichwahl an.

AfD-Kandidat: Gestalten statt verwalten / Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wahlplakat von Robert Sesselmann

In der Optik von AfD-blau. Dazu groß die Deutschlandfarben. Alles in von links nach rechts leicht steigenden, flächigen Linien gehalten. Farbverläufe geben den Hintergründen zusätzliche Dynamik. Das Kandidatenbild ist gut ausgeleuchtet, die Frisur sitzt. Klassisch graues Sakko, weißes Hemd, zurückhaltende Krawatte. Ganz der seriöse Rechtsanwalt. Das AfD-Logo kommt selbstbewusst daher. Dazu etwas kleiner: „Ihr Landrat“. Der Name wird mit der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ kombiniert. Der Claim „Gestalten statt Verwalten“ ist deutlich größer als der Name. Alles passt sich in die bei den Wählerinnen und Wählern gelernte Optik der Partei ein, ist handwerklich sauber gemacht und aus Sicht unserer Redaktion ein sehr seriöses Plakatmotiv.

In der Schlusskommunikation schreibt Sesselmann seine Kernbotschaften – inkl. Friedensverhandlungen (wir fragen uns: Will der Landkreis einen Friedensvertrag mit Russland schließen?) – 46,7% der Wähler zu und baut so eine erkennbare Brücke zwischen sich und seiner Stimmenmehrheit. Botschaft: Ihr seid nicht allein und braucht Euch auch nicht (mehr) zu verstecken.

Die Botschaften aus dem klassischen AfD-Fundus haben nicht primär etwas mit dem Landkreis zu tun und fallen wahrscheinlich auch gar nicht in die Regelungskompetenz eines Landrates (Stichwort: sofortige Abschiebungen), sind aber anschlussfähig formuliert. Hieß es früher noch „Ausländer raus“ oder „kriminelle Ausländer raus“, so ist formuliert Sesselmann: „eine sofortige Abschiebung krimineller und abgelehnter Asylbewerber ohne Bleibeperspektive“. Diese Forderung dürften zumindest auch Teile der politischen Mitte teilen.

Auf Facebook und – reduzierter – Instagram zeigt sich Sesselmann wenn auch mit wenig Publikum im Einsatz an Infoständen. Statt politischer Botschaften scheint er einfach nur da und ansprechbar zu sein. In Zeiten komplizierter politischer Programme und einer komplexen Welt vielleicht nicht die schlechteste Eigenschaft für Politikerinnen und Politiker. Zumindest macht man damit nichts falsch – einfach, weil man inhaltlich nichts erzählt.

Eine eigene Webseite hat Sesselmann natürlich auch. Wobei: So natürlich ist das nicht…

CDU-Kandidat: Mit mir fahren Sie sicher

… denn der CDU-Bewerber hat keine. Hier muss eine Landingpage auf der Seite des Kreisverbandes reichen. Dabei ist Jürgen Köpper wahrscheinlich der erfahrenere und kompetentere Kandidat der beiden Stichwahlbewerber – immerhin ist er bereits Vize-Landrat. Aber darum geht es bei Wahlen bekanntlich selten.

Motiv-Collage von Jürgen Köpper

Köpper kommt in einem strukturierten blaugrauen Sakko und ohne Krawatte auf seinen Plakaten daher. Der Hintergrund ist ein Verlauf auf einem dunklen Blaugrau unten rechts in ein dunkles Türkis oben links. Das CDU-Logo steht klein oben rechts und wird mit einer daneben gesetzten Deutschlandflagge kombiniert. Der weiße Schutzraum um das Logo – normalerweise ein klassisches Rechteck mit einem Verhältnis von Breite zu Höhe von 3:1 ist hier ein Parallelogramm mit links oben abgerundeter Ecke. Die abgerundeten Ecken finden sich auch im kleinen zweizeiligen Claim „Mit mir fahren Sie sicher“ und dem sehr viel größeren, ebenso zweizeilig gesetzten Namen wieder. Hintergrundfarben sind das CDU-orange für den Claim und ein ungewohntes Lila für den Namen. Für eine gewisse Lockerheit soll neben dem Krawattenverzicht vielleicht auch die über die Farbfläche hinausragenden Punkte von Vor- und Nachname sorgen. Anders als sein AfD-Konkurrent, der mit einer natürlichen Gesichtsfarbe – inkl. normaler Hautunreinheiten – um die Ecke kommt, wirkt Köpper, als hätte ihm jemand in Photoshop noch eine Extra-Schicht Puder gegönnt. Das ist wenig natürlich…

Auch sonst scheint man sich nicht entscheiden zu können: CDU-Kandidat oder doch was ohne CDU-Look? Deutschland-Flagge: Vielleicht ein bisschen, um in Kreisen der AfD zu wildern?

Das wirkt wenig konsequent. Erst recht dann, wenn man die Kampagnenbotschaften vergleicht. Denn das ähnelt sich doch arg. Während auf den Plakaten nur ein bisschen Deutschlandflagge anklingt, ist es auf Facebook-Kacheln schon deutlich präsenter und erinnert an CDU-Plakate zu Zeiten der deutschen Einheit.

Die Botschaften ähneln sich.

Gegen „Habecks Heizungsverbot“ werden auch bei der CDU Unterschriften gesammelt. Beide Kandidaten machen eine Zuhör-Tour (bei Köpper heißt es weniger seriös „Frag den Köpp“).

Anders als bei der AfD, bei der Social Media Kanäle seit jeher ein wichtiges und von den Mitgliedern auch gelerntes Kommunikationsinstrument ist, wirkt das bei Köpper eher hölzern. So geht der Daumen in einer Dampflok der Deutschen Reichsbahn nach oben oder er bedankt sich am Tag vor dem ersten Wahlgang bei den Wahlhelfern. An sich eine schöne Geste. Nur steht auf der großen Grafik „Einer muss es ja machen“. Der inhaltliche Hintergrund erschließt sich erst beim Lesen der Textbotschaft – aber wer macht das schon…

Kurzum: Ein eventueller AfD-Erfolg dürfte nicht unbedingt an der Kompetenz ihres Kandidaten liegen, sondern an der Klarheit und Verständlichkeit der Sesselmann-Kampagne im Vergleich zum Auftritt des CDU-Kandidaten. Während die AfD klar, blaufrisch und aufgeräumt dynamisch auftritt, wirkt Köpper blass und ein bisschen aus der Zeit gefallen. So wird der bereits weniger klare Gestaltungsansatz (der Agentur?) mit Bordmitteln konterkariert (Verläufe in Schriftfarben). Das wirkt hemdsärmelig und zeugt nicht unbedingt davon, einen Plan vom Wahlsieg zu haben.

Dabei kann die CDU das eigentlich deutlich besser. Das Corporate Design der Bundespartei ist klar, aufgeräumt und bietet mit dem Ring in Deutschlandfarben („Unionkreis“) auch Ansätze für Gestaltungspatrioten. Vor allem wirkt das Design der Bundespartei deutlich kraftvoller als die alles andere als CD-konforme Adaption des Landesverbandes Thüringen – wobei Köpper auch damit bricht, was die fehlende Stringenz dann noch einmal unterstreicht.

AfD-Kampagnen brauchen keine Medien mehr

Spannend: Bei der CDU bespielt man die sozialen Netzwerke bei weiten nicht so nachhaltig wie bei der AfD, die sich so eine eigene Möglichkeit geschaffen hat, ohne Medienfilter direkt mit potentiellen Wählerinnen und Wählern zu kommunizieren – nicht nur in Wahlkämpfen, sondern permanent. Zugespitzt: Die AfD – und damit auch Sesselmann – brauchen die klassischen Medien nicht (mehr), um öffentlich stattzufinden. Ein Post über ein soziales Netzwerk reicht, um massive Aufmerksamkeit zu erzielen, denn mitunter wirkt die AfD-Blase wie eine sich immer wieder selbstbestätigende Trollarmee, die alles teilt und gleichzeitig immer wieder bei den Mitbewerberinnen und Mitbewerbern dagegen hält. Über die Automatismen der sozialen Netzwerke wird so auch bei verbundenen Personen (Freunde/Follower) eine Aufmerksamkeitsquantität erzeugt, die mit einer in Sonneberg präsenten Thüringischen Landeszeitung oder Freien Wort wohl nicht erzielbar wären – jedenfalls nicht in den potentiellen Wählermilieus der AfD.

Last statt Momentum bei der CDU

Man mag über die Wirkung von Wahlkampagnen unterschiedlicher Auffassung sein. Auf Menschen, die wenig Infos aus Medien ziehen und deren Hauptkontakt im Vorfeld von Wahlen Plakate und Social Media Ads sind, die keine ausgeprägte Affinität zu einer Partei haben, auf die dürften Kampagnen sehr wohl eine Wirkung haben. Es geht um das Schließen der eigenen Reihen und es geht um die Unentschlossenen. Beides bespielt die AfD traditionell solide und kombiniert es mit anschlussfähigen Botschaften. Die CDU wirkt da wenig zielgerichtet, eher als Fake ihrer selbst, ganz so als hätte man einen Selbstläufer erwartet, weswegen man auf Ecken, Kanten und Klarheit vorsorglich verzichtet hat… Am Ende wäre ein möglicher AfD-Erfolg vielleicht auch das Ergebnis einer verkorksten CDU-Kampagne.

Hinzu kommt der wichtigste Aspekt einer jeden Wahlkampagne: Das Momentum. Mit fast 50 % hat Sesselmann ein in der Deutlichkeit überraschend gutes Ergebnis eingefahren und einen Erfolg bereits im ersten Wahlgang nur knapp verpasst. Der finale Erfolg ist für ihn und die Partei greifbar nah. Das hält die Mobilisierung nicht nur hoch, sondern dürfte ihr noch einmal einen Schub geben. Die CDU braucht die Unterstützung der anderen Kandidatinnen und Parteien – was sie auch bekommen hat. Nur: Viel mehr als pflichtschuldige Unterstützungserklärungen sind nicht erkennbar. Wuppen müssen es Kandidat und Partei offenbar weitgehend allein – nicht mit dem Ziel eines nach vorn gerichteten Gestaltungsauftrages, sondern – überspitzt – „den Nazi zu verhindern“. Ein Momentum, ein positive Stimmung erzeugt das nicht. Im Gegenteil: Auf den Schultern von Köpper liegt jetzt auch noch die Last einen ersten AfD-Landrat verhindern zu müssen.

Wählerwanderung Landtagswahl Thüringen
https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2019-10-27-LT-DE-TH/wanderung_embed.shtml

Ob es am Ende positiv für Köpper ausgeht? Wenn, wie im ersten Wahlgang, mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme nicht abgegeben haben, ist da zumindest noch Mobilisierungspotential vorhanden. Wenn man sich jedoch die Wählerwanderungen im Osten ansieht, ist noch lange nicht ausgemacht, dass die Stimmen der beiden ausgeschiedenen Kandidatinnen auch bei Köpper landen. Denn bei der letzten Landtagswahl in Thüringen hat die AfD selbst von ehemaligen Linkspartei- und SPD-Wählerinnen und Wählern relevante Stimmenmengen gewonnen.

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