Eine Bundesministerin, ein Landtagswahlkampf und ein Twitter-Account

Nach einigen Spekulationen hat Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat, nun bekannt gegeben, für die SPD in Hessen als Spitzenkandidatin zur Landtagswahl im Oktober 2023 ins Rennen zu gehen. Gleichzeitig kündigte sie an, weiter als Bundesministerin arbeiten zu wollen und nur als Ministerpräsidentin nach Hessen zu gehen.

Kurze Zeit nach ihrer Ankündigung der Spitzenkandidatur twitterte Faeser, dass sie ihren Twitter-Account, der bis dato über das Bundesministerium betreut wurde, nun mit Blick auf den Landtagswahlkampf nicht mehr von dort mit Tweets versehen wird:

„Ich bin mit voller Kraft Bundesinnenministerin. Künftig werde ich hier aber auch über meine Arbeit als SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Hessen informieren, daher wird dieser Kanal nicht mehr von meinem Ministerium betreut.“

Quelle: https://twitter.com/NancyFaeser/status/1621204353611612168?cxt=HHwWkICy1aSx1v8sAAAA

Für das Vorgehen von Faeser hagelt es Kritik

Für die Umwandlung eines ehemalig vom Ministerium betreuten Accounts in einen privaten Account, erntet Nancy Faeser nun heftige Kritik, vor allem aus den Reihen der CDU:

Serap Güler, MdB für die CDU, twitterte noch am gleichen Tag: „Menschen sind Ihnen gefolgt, weil Sie hier als Innenministerin kommuniziert haben. Mit einem Profilbildwechsel und der Bio-Änderung sind Sie nicht plötzlich die SPD – Spitzenkandidatin aus Hessen. Es gibt so etwas wie Demut vor dem Amt, auch im Netz.“

Auch Gülers Parteikollege und Bundestagsabgeordneter Matthias Hauer, zeigte sich auf Twitter wütend über Faesers Account-Umwidmung. Er kritisiert, dass Faeser unter Betreuung des Ministeriums rund 130.000 Follower für ihren Twitter-Kanal gewonnen habe und die Reichweite jetzt für ihren privaten Wahlkampf nutze. „Unanständig“, findet er das Vorgehen.

Warum ist das für den Wahlkampf relevant?

Dies ist insofern interessant, als dass Faeser auf mehr als 140.000 Follower kommt. Zum Vergleich: Tarik Al-Wazir (Grüne), Hessischer Wirtschaftsminister und voraussichtlicher Spitzenkandidat der Grünen kommt mit seinem Account auf weniger als 14.000, Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) lediglich auf gut 2.500 Follower. Da Al-Wazir seine private Domain verlinkt hat, die auf die Webseite der Grünen Hessen umgeleitet ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Seite nicht aus dem Ministerium heraus betreut wird. Bei Rhein ist dies anders. Dort ist die Staatskanzlei verlinkt.

Nancy Faeser übernimmt nun also den bislang unter ihrem Namen im Ministerium geführten Twitteraccount und bekommt damit eine beachtliche Followerzahl an die Hand. Interessant dürfte das Thema vor allem deswegen sein, weil die Schar derer, die ihr auf Twitter folgen maßgeblich durch die Tweets im Ministerium – und damit auf Kosten der Allgemeinheit – mindestens deutlich vergrößert wurde.

wahlkampfnews.de hat den Twitteraccount von Nancy Faeser etwas genauer unter die Lupe genommen. Ursprünglich betreute die Sozialdemokratin ihren Account selbst – zumindest deutet die Verlinkung ihrer eigenen Domain darauf hin. Angelegt wurde der Account im Juni 2012. Zu dieser Zeit war Faeser Landtagsabgeordnete in Hessen und hatte keine herausgehobenen Funktionen inne. Scrollt man in der Timeline zurück, so ist der erste heute anzeigbare Tweet aus September 2021 – ein Wahlaufruf zur Bundestagswahl.

Ihre Followerzahl dürfte damals unter der von Al-Wazir heute gelegen haben. Die letzte recherchierbare Zahl stamm vom 6.12.2021 und lag bei rund 14.000.

Allerdings war dies nicht der erste Tweet von Nancy Faeser. Bei entsprechender Recherche stößt man auf ein U2-Konzert am 14. November 2018:

Es stellt sich nun die Frage, wann Faesers privater Account vom Ministerium übernommen wurde. Dies lässt sich auf den Zeitraum zwischen 15. und 18. Februar 2022 eingrenzen. Damals hatte sie gut 72.000 Follower (15.02.2022: 72.018) – also rund die Hälfte der heutigen Zahl.

Unklar ist der rechtliche Rahmen zur Übernahme des Accounts. Fakt ist: Ministerien sind in ihrer Öffentlichkeitsarbeit stark eingeschränkt. Insbesondere Parteienwerbung ist verboten. Das gilt auch für offizielle Verlautbarungen von Ministerinnen und Ministern in dieser Eigenschaft. Die Privatperson Nancy Faeser kann hingegen erklären und twittern, was sie will. Praktisch bedeutet das: Das Ministerium dürfte so ohne weiteres keine Tweets des privaten Accounts der Ministerin Faeser retweeten. Umgekehrt ist das problemlos möglich.

Spannend ist es deswegen, weil die Followerzahl unter der Betreuung durch das Ministerium von gut 70.000 auf mehr als 140.000 angestiegen ist – eine Reichweite, die mit Ausnahme von Markus Söder (mehr als 400.000 Follower) kein anderer Ministerpräsident bzw. keine andere Ministerpräsidentin erreicht. In Zeiten, in denen die Kommunikation immer stärker über soziale Netzwerke direkt zu den Wählerinnen und Wählern läuft, ist das zweifelsohne ein erheblicher Wettbewerbsvorteil. Würde man die Differenz (Übernahme Ministerium, Rückübernahme privat) von 70.000 Followern finanziell aufwiegen, dann könnte man in die einschlägigen Plattformen sehen und kommt auf einen Betrag von etwa 150 bis 200 Euro pro 10.000 Follower aus der EU – also auf 1.000 bis 1.500 Euro insgesamt. Nur: Die Follower von Faeser sind qualitativ deutlich hochwertiger, denn sie folgen ihr aus echtem inhaltlichen Interesse und nicht für ein paar Cent. Sie sind bereit, sich mit Faeser auseinanderzusetzen, zu retweeten und tragen so zu zusätzlicher Reichweite bei. Mithin dürfte der tatsächliche Wert deutlich höher liegen.

Regeln, wie mit durch öffentliche Verwaltungen betreuten Accounts umgegangen wird, wenn bspw. ein Minister oder eine Behördenleiterin Anspruch darauf erhebt, gibt es nicht. Bislang wurden Accounts durchaus in Behördenobhut übernommen und wieder in private Hände abgegeben. Auch gab es in der Vergangenheit immer wieder Accounts, die von verschiedenen Teams betreut wurden.

Bei Bundestagsabgeordneten ist dies bspw. noch heute eher die Regel als die Ausnahme. Hier twittern die Abgeordneten privat über ihren Wahlkampf und ihre Parteiarbeit. Gleichzeitig posten Mitarbeiter aus Abgeordneten- und Wahlkreisbüros über die Parlaments- oder Wahlkreisarbeit. Diese Teammitglieder sind aus Steuermitteln finanziert – und dürfen formal in ihrer Arbeitszeit weder Wahlkampf noch Parteiarbeit machen.

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